Neue Wege zum nachhaltigen Transport auf den Meeren

Weltweit werden derzeit etwa 90 % der Waren mit Schiffen transportiert, was fast 3 % der gesamten globalen Kohlendioxidemissionen (CO₂) verursacht. Das macht die Schifffahrt zu einem der größten Verschmutzer in der Transportwirtschaft, wobei internationale Handelsschiffe und große Frachtschiffe für den Löwenanteil dieser Emissionen verantwortlich sind.

Unterschiedlichste Organisationen und Verbände erkennen die Verantwortung für die Umwelt und sehen die Notwendigkeit, den CO₂-Ausstoß des Schiffsverkehrs zu reduzieren – unter ihnen die Reedereien selbst sowie Regierungen und Forschungseinrichtungen. Sie wollen in den kommenden Jahren einen kohlenstoffneutralen Seetransport etablieren und fördern.

Erste Maßnahmen sind getroffen

In zahlreichen Häfen gelten immer strengere Abgasvorschriften, um die Anwohner zu schützen. Viele moderne Schiffe verfügen daher über Doppel-Treibstoff-Motoren, so genannte Dual-Fuel-Motoren. Sie können sauberes Erdgas in Küstennähe verwenden und auf hoher See den umstrittenen Bunkertreibstoff, eine Mischung aus Dieselöl und Schweröl, der bei der Raffinierung von Erdöl als Abfallprodukt anfällt.

Es tut sich also bereits etwas. Die AIDAnova beispielsweise nicht nur das größte Kreuzfahrtschiff, das jemals in Deutschland gebaut wurde, es ist auch das erste Kreuzfahrtschiff, das ausschließlich flüssiges Erdgas (LNG) tankt, was den Ausstoß von Feinstaub und Schwefeloxiden drastisch senkt. Auch die Stickoxid- und CO₂-Emissionen werden erheblich reduziert. Erste praktische Tests von Brennstoffzellen an Bord der AIDAnova sind für 2021 geplant. Damit wäre eine CO₂-neutrale Schifffahrt möglich.

Daneben gibt es weitere Ideen und Versuche, eine emissionsfreie Schifffahrt zu erreichen. So unterzeichneten ABB und Ballard Power Systems eine Absichtserklärung zur gemeinsamen Konzeption, Entwicklung und Erprobung einer Stromversorgung mit Brennstoffzellen für die Schifffahrtsindustrie. Klingt alles großartig…

… doch leider ist dies nur ein Tropfen im weiten Ozean. Experten sind sich sicher, dass in naher Zukunft konventionelle, auf Öl basierende Treibstoffe die erste Wahl für die meisten Schiffsantriebe bleiben. Aktuell sind insgesamt mehr als 90.000 Schiffe verschiedener Größen auf den Weltmeeren im Einsatz, darunter Frachter wie Containerschiffe oder Öl-, Gas- und Chemikalientanker, Passagierschiffe wie Fähren und Kreuzfahrtschiffe sowie Versorgungsschiffe, etc. – alle werden mit Schweröl betrieben. Fischerboote kommen noch hinzu.

Laut Petrissa Eckle wäre langsames Fahren die einfachste und eine der wirkungsvollsten Möglichkeiten, den CO₂-Ausstoss kurzfristig zu reduzieren (Bild: Peter Rüegg / ETH Zürich)

Netto-Nullausstoß von Kohlendioxid

Der am häufigsten verwendete Brennstoff in der Schifffahrt ist also Schweröl, das 3.500-mal mehr Schwefel enthält als auf Europas Straßen erlaubt ist. Die CO₂- und NOx-Emissionen sowie die Feinstaubbelastung durch diese Kraftstoffart sind verheerend für die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Hier muss sich etwas tun, insbesondere mit dem weltweiten Ziel, bis 2050 einen Netto-Nullausstoß von CO₂ zu erreichen. Dieses notwendige Ziel verlagert nun den Handlungsbedarf aus der fernen Zukunft in unsere unmittelbare Gegenwart.

Jeder Transportsektor benötigt eine klare Strategie, um nachhaltig zu werden. Für die Schifffahrt hat die „Getting to Zero 2030 Coalition“ dieses Ziel formuliert und auf dem Klimagipfel der Vereinten Nationen im September 2019 beschlossen. Mehr als 70 Unterzeichner – darunter Vestas, Kühne & Nagel, Shell, Siemens, Bosch und BMW, die Häfen von Antwerpen und Rotterdam, Kiel und Hamburg – setzten sich das Ziel, „bis 2030 technisch und wirtschaftlich umsetzbare, sichere Hochseeschiffe ohne Emissionen in die globale Flotte aufzunehmen und die großen Mengen an kohlenstofffreien Energiequellen bereitzustellen“.

Studien und Interviews mit Forschern und Experten

Die Umstellung auf umweltfreundliche Treibstoffe ist kein leichtes Unterfangen. Forscher haben jedoch kürzlich mögliche Wege aufgezeigt, wie ein emissionsfreier Schiffsverkehr erreicht werden kann. Petrissa Eckle, Professorin am Departement für Management, Technologie und Ökonomie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, glaubt, dass die Nord- und Ostsee gut geeignet sind, um praktikable Lösungen zu testen. Mit Hilfe von externen Studien und Interviews mit Innovatoren und Branchenexperten untersuchten Eckle und ihr Team die Routen der Schiffe, die bestehende Infrastruktur, die Nachhaltigkeit und die Kosten der neuen Treibstoffoptionen.

„Die Schifffahrt verfügt bereits über ein breites Portfolio an Effizienzmaßnahmen, die sofort und rentabel umgesetzt werden könnten, wobei die Langsamfahrt wahrscheinlich die einfachste und eine der wirkungsvollsten ist – aber auch Routenoptimierung, verbesserte Rumpfkonstruktionen und zusätzliche Unterstützung durch den Wind“, erläutert Petrissa Eckle die Möglichkeiten der Schifffahrt, die längst genutzt werden können. „Netto-Null heißt aber auch, dass Effizienzsteigerungen nicht ausreichen werden – wir brauchen Null-Kohlenstoff-Optionen wie Batterie/Elektrik, Wasserstoff und Ammoniak.“

Nord- und Ostseeraum treibt Innovation an

Das Schweizer Team konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf alternative, kohlenstofffreie Energiequellen, die in den nächsten fünf bis zehn Jahren zur Verfügung stehen werden und für die internationale Schifffahrt realistisch skalierbar sind. „In der Nord- und Ostsee werden bereits heute Schiffe mit elektrischem Antrieb für kurze Distanzen eingesetzt“, sagt Eckle. „Die größte Überraschung war die Wirtschaftlichkeit: Auf vielen Kurzstrecken in den nordischen Ländern sind elektrische Fähren schon heute rentabler als Diesel.“

Ob Elektromotoren, Brennstoffzellen oder Ammoniak-betriebene Verbrennungsmotoren am geeignetsten sind, hängt jeweils von der Art des Schiffes und der Länge der Route ab. Für große Entfernungen könnte Ammoniak eine passende Lösung sein: Es ist besitzt eine hohe Energiedichte, ist leicht zu transportieren, günstiger als grünes Methan und kann in bestehenden Motoren mit geringfügigen Modifikationen verwendet werden. Leider ist Ammoniak aufgrund seiner Toxizität als Brennstoff derzeit nicht zulässig.

Wasserstoff kann ebenfalls als alternativer Brennstoff verwendet werden, nur fehlt es hier noch immer an der Kapazität zur Verflüssigung und zum Transport. „Ammoniak verdient mehr Aufmerksamkeit“, meint Professorin Eckle. „Ammoniak ist erst seit Kurzem als potenzieller Brennstoff in die Diskussion gekommen, aber unserer Ansicht nach hat es das Potenzial, einen schnelleren Weg zum Scale-up zu bieten als Wasserstoff, da die gesamte Produktions- und Lieferkette ausgereifter ist.“

Ammoniak-Infrastruktur ist bereit für den Umstieg

Für die Düngemittelindustrie wird Ammoniak seit langem in großem Maßstab produziert: 140 Millionen Tonnen pro Jahr werden derzeit fast ausschließlich aus fossilen Ressourcen gewonnen und auf den Weltmeeren verschifft. Laut einem Bericht der Royal Society verursacht die Ammoniakproduktion gegenwärtig fast 2 % der weltweiten CO₂-Emissionen – den größten Anteil aller chemischen Industriezweige.

Die Infrastruktur für große Mengen an Ammoniak ist also vorhanden und Komponenten wie Pumpen, Tanks, Ventile usw. im industriellen Maßstab und zu geringen Kosten verfügbar. Dies ist ein Vorteil im Vergleich zu anderen grünen Treibstoffen; allerdings müssen die Ressourcen erst auf erneuerbare Quellen umgestellt werden.

Eckle erklärt, dass der Übergang zu kohlenstofffreien Kraftstoffen einschließlich Ammoniak eine Herausforderung sein wird, „da er im Wesentlichen den Aufbau völlig neuer Wertschöpfungsketten von der Kraftstoffversorgung bis zu neuen Schiffsmotoren sowie die unterstützenden Finanzierungs- und Geschäftsmodelle erfordert – und das alles innerhalb der kommenden zehn bis 15 Jahre“.

Bereit zum Start

Zwar gibt es noch keinen emissionsfreien Schiffsverkehr, aber die schweizerischen Forscher haben Routen dafür definiert. „Der nächste Schritt ist die Durchführung von Pilotprojekten, um Antworten auf alle ungeklärten Fragen zu finden. Wir brauchen Reedereien, die Schiffe mit emissionsfreien Antrieben testen“, ist Petrissa Eckle überzeugt. „Wir müssen neue Verbrennungsmotoren und Brennstoffzellen testen, die in den nächsten ein bis fünf Jahren auf den Markt kommen, Verfahren für den sicheren Umgang mit dem giftigen Ammoniak und den minus 253 °C flüssigen Wasserstoff entwickeln und rechtzeitig mit der Reduzierung der Kosten beginnen. Die Pilotprojekte werden auch als Signal für den Rest der Wertschöpfungskette dienen, das Investitionen freisetzt und den Gesetzgebern Transparenz über die erforderlichen Anreize zur Kostenreduzierung verschafft“.

Die Finanzierung für den Start ist heute schon verfügbar: Die EU hat die Innovationszuschüsse für den Schifffahrtssektor im Jahr 2019 aufgestockt, und im Rahmen des Programms „Horizon Europe“ werden zwischen 2021 und 2027 etwa 40 Milliarden Euro für klimabezogene Innovationen erwartet. Außerdem können nationale Programme, Risikokapitalfonds, Schiffsfinanzierungsbanken und Möglichkeiten zur Kostenübertragung auf den Endkunden genutzt werden, um die Finanzierungslücke zu schließen.

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