Unsere Innenstädte haben ein Problem: Sie sind verstopft. Nicht nur, dass immer mehr Menschen ein Auto besitzen, zusätzlich überlasten 3,5 Milliarden Post- und Paketlieferungen jedes Jahr die Straßen. Gemäß einer Prognose sollen es bis 2023 sogar 4,4 Milliarden Sendungen jährlich werden.
Unser Einkaufsverhalten hat sich verändert. Wir kaufen immer mehr online und lassen unsere Bestellungen nach Hause kommen. Kurier- und Paketdienste übernehmen mit ihren Transportern die bequeme Lieferung und bringen jedes Teil einzeln bis an die Haustür.
Die Onlineversandhändler nennen es eine Win-Win-Situationen, doch leider sieht die Realität anders aus: Kunden erhalten ihre Ware verspätet, gar nicht, oder müssen sie in unterschiedlichen Filialen und Shops abholen. Die Mitarbeiter sind unterbezahlt und überfordert. Der Straßenverkehr in den Innenstädten kollabiert, ein permanenter Stress-Zustand, der sowohl Anwohner, als auch die stationären Händler frustriert.
Verkehrs- und Umweltbelastung senken
Dr. Kai Kreisköther ist Verkehrsexperte und Geschäftsführer des Aachner Start-Ups Ducktrain. Er meint, dass die sogenannte letzte Meile beim Lieferverkehr, das heißt die endgültige Auslieferung, das Problem sei, nicht nur bei Paketen: „Insbesondere in Innenstädten und dicht besiedelten Gebieten brauchen wir neue Konzepte, um die Verkehrs- und auch die Umweltbelastung zu senken.“
Für dieses Problem hat er gemeinsam mit einigen Partnern eine Lösung gefunden, die so heißt, wie sein Unternehmen – Ducktrain. Die Idee dahinter: Bis zu fünf kleine und leichte Elektrofahrzeuge werden in einem Ducktrain gekoppelt und zu einem Zug vereint. „Auf diese Weise transportieren wir das Ladevolumen eines herkömmlichen Transporters in die Städte hinein“ erklärt der Ingenieur. So ein „Entenzug“ könnte die Verkehrssituation erheblich entspannen, weil die ein Meter breiten Fahrzeuge Fahrradwege nutzen können und selbst zwischen Poller hindurchpassen.
„Im Zustellbezirk angekommen vereinzelt sich der Ducktrain auf den letzten zehn bis 500 Metern und einzelne Ducks bringen die Pakete von Haustüre zu Haustüre“, erläutert Kreisköther. Der Ducktrain lenkt und fährt dabei selbstständig, indem er automatisch dem Zusteller folgt, der entweder zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs ist. Die Ducks sind für 20 bis maximal 25 km/h ausgelegt, könnten aber noch schneller sein. Sie fassen genau eine Europalette und transportieren problemlos 300 Kilogramm und mehr. Die Zustellung wird deutlich effizienter, da weniger Zeit verloren geht etwa durch den permanenten Wechsel von Fahren und Parken, stockenden Verkehr usw.
Eine Lösung für unterschiedliche Lieferungen
Das innovative Konzept eignet sich nicht nur für Post- und Paketlieferungen, Speditions-Anwendungen sind ebenfalls möglich. Ein Duck kann Warenpalletten für den Einzelhandel liefern und bis zum Wareneingang vorfahren. Das Parken eines LKW am Straßenrand sowie gefährliches und verkehrsbehinderndes Entladen im Straßenverkehr entfällt. Dr. Kreisköther und seine Partner denken darüber hinaus an industrielle Anwendungen für größere Firmengelände oder Logistikaufgaben.
„Als wir einer nach einer Lösung für die massive Überlastung der Verkehrsinfrastruktur gesucht haben, stellte sich heraus, dass die verfügbaren Fahrzeuge nicht geeignet sind“, berichtet der Aachener Ingenieur. „Also mussten wir ein eigenes Fahrzeug entwickeln.“ Die Erfinder haben von Anfang an langfristig gedacht und das neue Mobilitätskonzept als autonomes Fahrzeug geplant. Noch nicht in der ersten Entwicklungsstufe, doch nach und nach soll Ducktrain immer mehr Funktionen selber und automatisch übernehmen. Die ersten vollständig automatisierten Ducktrains wollen sie schon 2021 bauen, Pilottests sind ab 2022 und der Serieneinsatz auf der Straße für 2025 geplant.
Erste Testfahrten mit dem Prototypenfahrzeug
Aber eins nach dem anderen. Ab März 2020 erprobt das Start-Up die neue Technologie in Pilotanwendungen. „Wir haben gerade das erste Prototypenfahrzeug fertiggestellt. Damit stehen nun Erprobungsfahrten mit Kunden und Anwendungspartnern an“, berichtet Kreisköther. „Zunächst in abgeschlossenen Geländen wie Industrie- und Logistikarealen, dann im öffentlichen Raum.“
Eine Zulassung gibt es für Ducktrain noch nicht, denn es ist ja eine vollkommen neue Fahrzeugkategorie. Außerdem gibt es für die Automatisierungs-Technologie noch keine Richtlinien. „Wir arbeiten aktuell mit dem Bundesverkehrsministerium, mehreren Landesverkehrsministerien sowie dem TÜV an der Genehmigung für unser Fahrzeug“, erzählt der Geschäftsführer.
Ducktrains sollen übrigens nicht verkauft werden, vielmehr bezahlen die Kunden die Fahrzeugnutzung. „Wir kümmern uns darum, dass die Ducktrains stets verfügbar und auf dem neusten technologischen Stand sind“, erklärt er weiter. Auch dieses Finanzierungskonzept ist für viele Branchen interessant. Der Zeitungsverlag Aachen beteiligt sich daher an der Erprobung ebenso City Logistik Aachen (CLAC) und das Kompetenzzentrum für nachhaltige Mobilität (Avantis). Weitere deutsche und internationale Logistikunternehmen kommen in Kürze dazu.
Zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten
„Stellen Sie sich vor“, verdeutlicht Kreisköther. „Morgens nutzt der Zeitungsbote einen Ducktrain, dann folgt die Post- und Paketzustellung und am Abend bringt Ihnen dasselbe Fahrzeug die Pizza.“ Weitere Anwendungen sind Apotheken, die oft mehrmals am Tag angefahren werden, oder Getränkelieferungen. Immer mehr Großstädter lassen sich die Einkäufe nach Hause bringen.
Gemeinsam mit Kunden und Partnern möchte das junge Unternehmen unterschiedliche Fahrzeugaufbauten entwickeln etwa für den Transport und die Auslieferung von Paketen, Paletten, Lebensmitteln oder eine mobile Paketstation mit Schließfächern, aus denen Kunden selbstständig ihre Sendungen entnehmen können.
Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig, doch nun geht es erst einmal darum, die Ideen auf die Straße zu bekommen. Zwei wichtige Förderer hat der Entenzug jedenfalls schon: Das Bundesverkehrsministerium (BMVI) und die Deutsche Bundesstiftung Umwelt haben entschieden, Ducktrain als besonders fördernswertes Projekt zu unterstützen, weil es ökonomisch und ökologisch sinnvoll ist. Dies hilft einerseits politisch, beispielsweise im Zulassungsverfahren, aber auch durch finanzielle Förderung.